Zeit für Klarheit! Ist das Fahrwerksproblem der CVO Street Glide noch aktuell? Warum kam es zum Aufschaukeln ab 160 km/h?
Im letzten Jahr stieß ich auf ein unerwartetes Verhalten bei der CVO Street Glide 2023, als ich auf der Autobahn unterwegs war. Bei einer Geschwindigkeit von 160 km/h, ausgelöst durch das Herausbeschleunigen aus dem Windschatten eines Audi Q5, fing die Maschine an zu schlingern – das unter dem Namen bekannte “Death Wobble”.
Ein Verhalten, dass nach meiner Kenntnis ausschließlich bei der CVO Street Glide auftrat; die CVO Road Glide hingegen ist anders konstruiert und bietet mehr Stabilität bei hohen Geschwindigkeiten. Diese Erfahrung warf Fragen auf, insbesondere da ich wusste, dass die CVO Street Glide in den USA ausgiebig getestet wurde.
Brad Richards (rechts) und Volker Wolf (Links) im Willie G. Product Development Center Milwaukee
Abfrage bei den Ingenieuren
Ich hatte sogar speziell die Ingenieure der CVO Street Glide in den USA zum Fahrverhalten der Maschine befragt, insbesondere ob sie für die höheren Geschwindigkeiten, die wir hier in Deutschland fahren, ausgelegt sei. Ihre Antwort war beruhigend: Die CVO sei durchaus in der Lage, 120 Meilen pro Stunde (ca. 190 km/h) zu fahren. Doch die Realität auf deutschen Straßen brachte Zweifel auf.
Hierzulande ist sie auf 175 km/h abgeregelt, was angesichts der tatsächlichen Möglichkeiten der Maschine sehr schade ist. Die älteren 110-cui-Modelle laufen stattliche 200 km/h. Ob man das wirklich braucht, sei dahingestellt, doch es kann sicherlich nicht schaden, bei einem Überholvorgang etwas Leistungsreserve zu haben – vor allem, weil die Leistung ja vorhanden ist.
Eigene Nachforschungen
Nachdem ich diesen Vorfall an Harley-Davidson gemeldet hatte, begann ich eigene Nachforschungen. In den USA schien bei den Testfahrten alles reibungslos gelaufen zu sein, also musste bei mir etwas anders gewesen sein. Wie man es von Harley-Davidson erwartet, legt die Marke höchste Maßstäbe an, wenn es um Sicherheit geht – ein Ansatz, der besonders in den USA aufmerksam verfolgt wird. Tatsächlich stieß ich auf ein einfaches, aber entscheidendes Detail: Die Fahrwerkseinstellung.
CVO Street Glide 2023
Die Lösung: Fahrwerk richtig einstellen
Im Handbuch fand ich eine Tabelle, die darauf hinweist, dass die Federvorspannung am Federbein auf das Fahrergewicht eingestellt werden muss – und zwar nicht mit dem außenliegenden Drehrad, sondern direkt am Federbein. Das außenliegende Drehrad kann maximal bis zu 40 kg zusätzliches Gewicht kompensieren. Es wurde klar, dass der Händler beim Kauf einer neuen Maschine diese Einstellung im Rahmen der PDI (Pre-Delivery Inspection) vornehmen sollte. Achte also unbedingt darauf, dass dich der Händler nach deinem Gewicht fragt, um die optimale Einstellung vorzunehmen.
Informationen, aus der CVO Street Glide Bedienungsanleitung
CVO Street Glide: Worauf achten?
Das Fahrwerk der CVO Street Glide ist von hoher Qualität, und auch die Upside-Down-Gabel arbeitet einwandfrei. Allerdings verstärkt die Verlagerung von Gewicht in die Verkleidung, insbesondere durch den Musik-Verstärker, der vorher im Koffer untergebracht war, die Tendenz zu Unruhe – vor allem, wenn die Koffer zusätzlich ungleichmäßig beladen sind. Diese Herausforderung ist nicht neu, tritt jedoch besonders bei Geschwindigkeiten ab 160 km/h verstärkt auf, wenn die Angaben zu den richtigen Einstellungen nicht befolgt werden. Harley-Davidson hat daraufhin ein zusätzliches Gewicht unsichtbar unter der Verkleidung, in der Nähe des Schlosses, verbaut, das zur Stabilisierung beiträgt. Interessanterweise könnte eine korrekte Einstellung des Fahrwerks dieses Problem bereits verhindern, jetzt wird die Range durchaus etwas erweitert, was besser sein wird.
Harley-Davidson CVO Modelle
Reifen und Einfahrphase
Ein wichtiger Hinweis zum Dunlop-Reifen ab Werk: Bevor man mit hoher Geschwindigkeit über die Autobahn fährt, sollte man den Reifen etwa 2500 bis 3000 Kilometer Zeit geben, um sich richtig einzufahren. Nach meiner Erfahrung halten die Reifen extrem lange, und ich schaffe mit einem Satz über 18.000 Kilometer. Das liegt daran, dass der Dunlop-Reifen speziell für den amerikanischen Markt entwickelt wurde, wo eine lange Laufleistung bevorzugt wird. Bei Regen benötigen die Reifen ebenfalls ein paar Kilometer, um optimal zu greifen. Dank der modernen Assistenzsysteme fällt das allerdings kaum noch auf.
Noch wichtiger als die Einfahrphase ist jedoch der richtige Reifendruck. Dieser sollte weder zu hoch noch zu niedrig sein, da sich der Druck während der Fahrt weiter aufbaut. Ein optimaler Reifendruck ist entscheidend für das Fahrverhalten und die Sicherheit und nicht nur so dahingesagt.
2023 Harley-Davidson CVO Skyline OS –
Der Dunlop-Reifen wurde speziell für den US-Markt entwickelt, wo langlebige Reifen bevorzugt werden. Ich habe unzählige Kilometer mit diesen Reifen zurückgelegt und kenne ihre Stärken und Schwächen gut. Für mich bleibt der Dunlop ein zuverlässiger Begleiter, und ich würde ihn jederzeit wieder aufziehen.
CVO Street Glide Harley-Davidson Norwegen – Hier musste ich über eine Eisfläche vorm Hotel, bis zur Straße fahren, in dieser nicht alltäglichen Situation, hat sich wiedermal der Regenmode bewährt und die CVO nicht hinten wegdrücken lassen.
Den perfekten Reifen gibt es wohl sowieso nicht
Ich weiß aber, wie der Dunlop funktioniert und benötige einen Allrounder, der lange hält – so wie der Dunlop. Wer allerdings sportlicher in den Kurven unterwegs sein möchte, wird mit dem Metzler Cruisetec vermutlich besser bedient sein.
Fazit zur CVO Street Glide
Die CVO Street Glide hat mich von August bis November 2023 auf 5500 Kilometern begleitet – quer durch Österreich, die Schweiz und sogar bis nach Norwegen, und das im November, bei Schnee, Eis und Minustemperaturen. Dank des nachträglich installierten Zusatzgewichts und der hoffentlich mittlerweile standardmäßigen Fahrwerkseinstellungen durch die Händler dürfte das Schlingern bei hohen Geschwindigkeiten nun der Vergangenheit angehören.
Jedenfalls habe ich bisher noch nichts Gegenteiliges aus der Community gehört. Einige haben sich direkt ein Fahrwerk aus dem Zubehör eingebaut, was manche ohnehin gemacht hätten. Es gibt ein paar Dinge, die viele Biker generell ändern, wenn sie sich ein neues Motorrad kaufen. In der Regel sind das die Reifen, der Auspuff und das Fahrwerk.
Mich hat sie begeistert. Ihr typisch Harley-typisches Design ist ihr großes Pfund. Besonders auffällig sind die neuen LED-Stripes in der Batwing-Verkleidung.
CVO Street Glide – In der Schweiz.
Warum bringt Harley-Davidson kein Modell, dass auf europäische Straßen abgestimmt ist?
Harley-Davidson hat 2018 damit begonnen, in Thailand Motorräder für den europäischen Markt zu produzieren. Dies war eine Reaktion auf die hohen Zölle (bis zu 31 %), die die Europäische Union auf in den USA gefertigte Motorräder erhoben hat, als Vergeltung für US-Zölle auf europäischen Stahl und Aluminium. Die Produktionsstätte in Thailand ermöglichte es Harley-Davidson, diese Zölle zu umgehen und somit die Kosten für europäische Kunden zu senken.
Harley-Davidson produziert bestimmte Modelle, darunter auch die CVO-Modelle, weiterhin in den USA, das diese Vorgehensweise so bleibt, ist nicht sicher. Die CVO-Modelle (Custom Vehicle Operations) gelten als exklusive Premium-Motorräder, die häufig in den USA hergestellt werden, um die Marke als amerikanisches Kulturgut (American Icon) zu stärken. Allerdings hat Harley-Davidson Teile der Produktion von anderen Modellen, wie der Pan America und der Sportster S, außer der CVO Pan America bereits nach Thailand verlagert.
CVO STREET GLIDE UND DAS FAHRWERK 40
Die in Thailand gefertigten Motorräder sind größtenteils für den europäischen und asiatischen Markt bestimmt. Sie werden mit Teilen aus den USA sowie aus der Region gebaut, um sowohl Kosten als auch Importtarife zu minimieren. Ursprünglich war die Fabrik in Thailand für den asiatischen Markt gedacht, wurde aber schnell erweitert, um auch den europäischen Markt zu bedienen.
Die Frage ist, warum Harley-Davidson, wenn sie ohnehin separate Produktionslinien betreiben, keine Modelle entwickelt, die technisch besser auf den europäischen Markt abgestimmt sind. Hier könnte man das gesamte Fahrwerkskonzept, inklusive der Reifen, überdenken.
Nivomat-Gerücht und Fahrwerksoptionen bei Harley-Davidson
Es gab einmal das Gerücht, dass Harley-Davidson einen Nivomat (eine Selbstnivellierungstechnologie, die das Fahrwerk automatisch an das Gewicht des Fahrers und der Ladung anpasst) in die CVO-Modelle einbauen wollte. Dies scheiterte wohl daran, dass das entsprechende Unternehmen nicht die Kapazitäten hatte, um den gesamten CVO-Markt damit auszustatten. Mit der CVO Road Glide ST ist man bereits neue Wege gegangen – warum also nicht gleich konsequent die Möglichkeiten nutzen, die man eigentlich hat? Denn auch die Showa-Fahrwerke haben Potenzial, wie man beispielsweise bei der Pan America Special mit ihrem adaptiven Fahrwerk sehen kann.
Stärken der CVO Street Glide – Agilität auf kurvigen Strecken
Dennoch zeigt die CVO Street Glide ihre wahre Stärke eher auf kurvigen Strecken als auf der Autobahn. Besonders auffällig ist das deutlich leichtere Handling im Vergleich zum Vorgängermodell. Mit einem Metzeler Cruisetec, der für seine exzellenten Kurveneigenschaften bekannt ist, lässt sich das Potenzial der Maschine sogar in Richtung einer sportlicheren Fahrweise steigern.
CVO Road Glide in Medulin – Kroatien
CVO Road Glide vs. CVO Street Glide – Zwei Modelle, zwei Fahrgefühle
Mittlerweile fahre ich die CVO Road Glide, die sich spürbar von der CVO Street Glide unterscheidet. Beide Modelle bieten ihren ganz eigenen, unverwechselbaren Fahrspaß. Besonders gefallen mir bei der CVO Street Glide die neuen Blinker und das Tagfahrlicht, während mich bei der CVO Road Glide der hohe Lenker von Anfang an begeistert hat. In einem kommenden Beitrag werde ich genauer auf die Unterschiede zwischen diesen beiden Modellen eingehen.
Die CVO Street Glide gibt es 2024 in der Legendär Orange und Copperhead Lackierung.