You and Me and Willie G.
Zum 90. Geburtstag einer Designerikone
Ein Gastbeitrag von Rudi Herzig.
Als Presseonkel von Harley-Davidson Germany hatte ich die Ehre und das Vergnügen, ihn ein paar Mal zu treffen: 2003 etwa, in Hamburg. Na klar, er war bei der Party zum 100. von Harley-Davidson dabei und ich erlebte erstmals das Phänomen Willie G., einen absolut nahbaren und stets gut gelaunten Typen, der jede Menge spannende Storys draufhatte, Hunderten von Besuchern genauso offen und interessiert Rede und Antwort stand wie der versammelten Journaille und ein Autogramm nach dem anderen schrieb – auf Caps, Shirts, Jacken, Tanks und notfalls auf blanke Haut.
Vier Jahre später wurden den internationalen H-D PR-Teams im Product Development Center in Wauwatosa vorab die wichtigsten Neuheiten des kommenden Modelljahres präsentiert: Softail Rocker und Dyna Fat Bob. Wir – etwa 20 PR-Jungs und -Mädels – saßen in einem Besprechungsraum, als sich im Obergeschoss eine Tür öffnete und Willie G. zu uns herabtrabte. Mit einem fetten Grinsen im Gesicht erklärte er uns den Look der Neuheiten sowie sein Designcredo, während wir ehrfürchtig an seinen Lippen hingen.
„Die Form“, dozierte der Harley-Davidson Stylingchef, „mag der Funktion folgen, doch beide dienen der Emotion.“ Das Unternehmen, das von seinem Großvater William A. mitbegründet wurde, könne – da war er sicher – ein Motorrad bauen, dessen Performance über jeden Zweifel erhaben sei. Wenn aber etwas mit der Magie seiner Proportionen und seines Stils nicht stimme, dann werde der Markt es nicht akzeptieren.
Jedem von uns war sonnenklar: Der Mann weiß, wovon er spricht. Schließlich war Willie G. zu diesem Zeitpunkt bereits seit 44 Jahren für den unverwechselbaren und oft kopierten Look der Milwaukee Irons verantwortlich. In eine Familie von eingefleischten Motorradfahrern hineingeboren, stieß er 1963 im Alter von 29 Jahren zur Company.
Er hatte Kunst in Milwaukee und Design in Pasadena studiert und sich an der Westküste von der Kultur des Customizings infizieren lassen. 1969 avancierte er zum Vice President of Styling bei der Company, die seinen Namen trägt. Rasch überzeugte er die Chefetage von seiner Idee der Factory Custombikes – Maschinen, die schon serienmäßig individuell aussehen.
Zu seinen Frühwerken zählt die 71er Super Glide, eine gelungene Synthese aus Sportster Front End sowie Big-Twin-Motor und -Rahmen. Auch das Design zahlreicher weiterer Stilikonen wie Wide Glide, Sturgis, Cafe Racer, Fat Boy und V-Rod geht auf sein Konto.
Da er selbst Biker war, hielt er sein Ohr stets ganz dicht am Markt und zählte 1981 zu den 13 Managern, die „ihre“ Company von AMF zurückkauften – mit unerschütterlichem Glauben an die Marke und mit maximalem Risiko, denn für sie alle stand ihr privates Vermögen auf dem Spiel. Doch Willie G. sollte auch damit einen guten Riecher beweisen: Fortan ging es kometenhaft bergauf mit Harley-Davidson.
Nur mit den Typkürzeln – etwa FXCW für die Rocker des Modelljahres 2008 – stand selbst er auf Kriegsfuß. Das verriet uns Willie G. breit schmunzelnd 2007 in jenem Besprechungsraum. So genau sollte man es damit einfach nicht nehmen …
Auf der Intermot 2008 traf ich ihn am Harley Stand wieder. Und zwischen Häppchen, Hostessen und Highlights schrieb er auch mir ein „Ride free, Willie G.“-Autogramm in das von ihm verfasste Buch „100 Years of Harley-Davidson“, das seither mein Regal ziert.
Seinen verdienten Ruhestand trat Willie G. am 1. Mai 2012 an, doch seine Kreativität ist nach wie vor ungebremst. Da die bildende Kunst und auch die Aquarellmalerei seit Jahrzehnten zu seinen Leidenschaften zählen, kam inzwischen eine beträchtliche Anzahl von Bildern zustande, die er auf Ausstellungen präsentiert.
Unglaublich, aber wahr: Am 20. Juni 2023 wird dieser unermüdliche Visionär 90 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch, Willie G., und Chapeau für ein Leben, das fast fünf Jahrzehnte lang starken Motorrädern und ihrem ikonischen Design gewidmet war.
Text: Rudi Herzig Bildnachweis. Harley-Davidson
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